unFIX ist eine Sammlung von Mustern, mit denen man – ähnlich modular wie mit Lego-Bausteinen – ein vielseitiges Organisationsdesign aufbauen kann, das sich an der menschlichen Erfahrung orientiert.

Einführung in das unFIX-Modell

Der Titel dieses Artikels trifft den Nagel eigentlich schon auf den Kopf: unFIX ist eine Sammlung von Mustern zur Gestaltung einer Organisation, die im 21. „post-COVID"-Jahrhundert „überleben" und gedeihen kann.

unFIX wurde erst vor einem Jahr (im Januar 2022) von Jurgen Appelo, dem Autor von Management 3.0, veröffentlicht. Das bedeutet zum einen, dass unFIX Werkzeuge bereitstellt, die für die Herausforderungen der jüngsten Ereignisse (COVID) und Entwicklungen (Remote Work, VUCA-Welt) konzipiert sind. Andererseits bedeutet es auch, dass es manchmal an Erfahrungswerten mangelt oder, dass Elemente noch in Arbeit sind. Dennoch gibt es viele interessante Fallstudien, und ich persönlich denke, dass unFIX einen gewissen Reifegrad erreicht hat.

unFIX selbst ist neu, aber seine Muster sind es eigentlich nicht. Die meisten der Muster finden sich in bestehenden und gut etablierten Frameworks oder wurden zumindest in Büchern erwähnt. Einige der bekannteren sind: Team Topologies, Dynamic Reteaming, Management 3.0, Scaling Agile @Spotify (auch bekannt als Spotify-Modell) und viele mehr.

Aber werfen wir einen genaueren Blick auf unFIX.

 (so könnte ein Organisationsdesign aussehen, wenn die bereitgestellten unFIX-Muster angewendet werden – Screenshot von unfix.com)
Screenshot von unfix.com

(so könnte ein Organisationsdesign aussehen, wenn die bereitgestellten unFIX-Muster angewendet werden)


Muster

Um die Muster (Pattern) besser zu verstehen, stellen wir eine nicht offizielle Typisierung der vorliegenden Muster vor:

  • Strukturmuster (Structural Patterns)
  • Rollenmuster (Role Patterns)
  • Grundsätze (Principles)

Die Strukturmuster sind die Legosteine, aus denen ein Organisationsdesign zusammengesetzt werden kann. Dabei sollte man sich an die Grundsätze halten. Und um den Mitarbeitenden Anerkennung zu geben, kann man die Rollenmuster verwenden.


Strukturmuster

Strukturelle Muster können skaliert werden. Für alle nachfolgend genannten Muster gibt es Entsprechungen in einem größeren Maßstab.

Basis (Stamm, Clan, Geschäftseinheit)
„Die Basis ist die Gruppe, in der sich die Menschen sicher und zu Hause fühlen" – aber nicht nur das: Wenn man darüber liest, fühlt sich die Basis ein wenig wie ein Container (oder eine Lego-Grundplatte) für die anderen Muster an, die an ihr befestigt werden können.

Eine Basis (Base) kann die Heimat von nur einer einzigen Crew bis hin zu ein paar hundert Personen sein (es gibt keine festen Zahlen. Die Idee ist, dass Basen sich selbst verwalten und am besten wissen, wann sie sich umorganisieren müssen). Eine Basis hat ein einziges Geschäftsmodell. Da die Basis das Zuhause dieser Menschen ist, muss sie die Motivation und Zufriedenheit der dort Arbeitenden aktiv im Blick behalten. In einer Basis gibt es kein mittleres Management – dies soll ein hohes Maß an Agilität und Vielseitigkeit fördern. Die Menschen in einer Basis organisieren ihre Arbeit stattdessen so selbständig wie möglich.

Es gibt vier Arten von Basen, wobei jeder Typ einem bestimmten Zweck dient:

(Details zu den einzelnen Typen haben wir verlinkt – eine ausführliche Beschreibung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen).

Eine vergrößerte Basis wird als Bund bezeichnet – auch hier würde eine detaillierte Beschreibung den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Crew (Team, Trupp, Pod, Zelle)
"Eine Crew ist ein kleines Team auf einer Mission, mit einem definierten Ziel." – und die Erfüllung einer Mission gelingt in der Regel am besten in einer kleinen, autonomen und selbstorganisierten Gruppe von Menschen. Die Mitglieder dieser Gruppe sollten sich untereinander kennen, und es gibt keinen Manager in der Crew.

Es gibt sieben Arten von Gruppen mit einem klar definierten Ziel:

Obwohl alle diese Teams ihre Daseinsberechtigung haben, möchte ich einige hervorheben:

Die Value Stream Crews sind dafür verantwortlich, durch die Anwendung schlanker und agiler Praktiken kontinuierlich Wert für ein Produkt zu schaffen.

Es gibt genau eine Governance Crew in einer Basis, die für den Zweck der Basis, für die Motivation der Mitarbeiter:innen in der Basis, für das Management der Stakeholder und für den Umfang des Selbstmanagements in der Basis verantwortlich ist. Wenn eine einzelne Governance Crew die Arbeitslast nicht mehr bewältigen kann, ist es an der Zeit, sich neu zu organisieren.

Der einzige Zweck einer Facilitation Crew ist die Unterstützung anderer Crews, ein typisches Beispiel dafür sind Agile Coaches oder Scrum Master.

Vergrößerte Crews sind in einem Cluster organisiert – auch hier würde eine detaillierte Beschreibung den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Territorium (Revier)
"Ein Territorium ist ein Gebiet, das von denselben Personen bewirtschaftet und geschützt wird" – wobei ein bewirtschaftetes Gebiet alles sein kann, was eine klare Grenze hat: z. B. geistiges Eigentum, das geschützt werden muss; physisches Eigentum, das verwaltet werden muss; digitales Eigentum, das gepflegt werden muss.

Ein Territorium (Turf) sollte eine angemessene Größe haben und es sollte Klarheit über die Eigentumsverhältnisse und die Verantwortlichkeiten in Bezug auf das Gebiet herrschen. Ein einfaches Beispiel für ein Territorium wäre eine Codebasis, die von mehreren Teams gemeinsam genutzt wird oder ein Haus/Büro, das Mitarbeitende einer Basis gemeinsam aufsuchen.

Ein vergrößertes Gebiet wird als Domain bezeichnet – eine detaillierte Beschreibung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.

Forum (Kapitel, Gilde, Gemeinschaft der Praxis)
"Ein Forum ist ein Ort, um zu diskutieren und wichtige Entscheidungen zu treffen" – und das ist der einzige Zweck eines Forums: Diskussionen und Entscheidungsfindung. Die Mitglieder eines Forums sind auch Mitglieder einer Crew, in der sie den größten Teil ihrer Arbeit verrichten. in einem Forum gibt es keine Manager, sondern nur eine:n Moderator:in. Um sicherzustellen, dass die Diskussion in einem Forum ergebnisorientiert geführt wird, gibt es neun definierte Typen:

  • Funktional – Diskussion zu bestimmten Funktionen, Rollen oder Aufgabenarten
  • Produkt – Diskussion zu einer bestimmten Produktart oder -kategorie
  • Markt – Diskussion zu einem bestimmten Markt oder einer bestimmten Marktkategorie
  • Channel – Diskussion zu einem bestimmten Vertriebs- oder Marketingkanal
  • Geschäftsmodell – Diskussion zu einem bestimmten Geschäftsmodell
  • Customer Journey – Diskussion zu einer bestimmten (Stufe einer) Customer Journey
  • Regional – Diskussion zu einer bestimmte Region oder einem bestimmten geografischen Gebiet
  • Technologisch – Diskussion zu einem bestimmten Tool-Set oder einem bestimmten Technologiebereich
  • Saisonal – Diskussion zu einem bestimmten Feiertag, eine Saison oder einem jährliches Ereignis

Ein erweitertes Forum wird als Versammlung bezeichnet – eine detaillierte Beschreibung würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen.


Rollenmuster

Rollenmuster sind spezielle Rollen, die innerhalb bestimmter Strukturmuster eingesetzt werden können.

Anführer (Manager, Führungskraft)
"Die Anführer sind die einzigen Manager in einer Basis" – und es gibt sie nur in einer Governance Crew (einer der sieben Crew-Typen). Anführer (Chiefs) sind niemandem sonst in ihrer Basis unterstellt, und sie sind die Vorgesetzten der Personen, die in den Crews ihrer Basis arbeiten. Sie sind z. B. für Vertragsabschlüsse und Beförderungen zuständig. Sie setzen der Selbstorganisation in ihrer Base Grenzen und sind auch für die Aufteilung einer Basis zuständig, wenn diese weiter wächst.

Kapitän (Teamleiter, Truppführer, Champion)
"Eine Crew sollte einen Repräsentanten haben" – und das ist die Hauptfunktion eines Captains. Sie/er vertritt die Crew überall dort, wo ein:e Repräsentant:in gebraucht wird; z.B. in einem Forum oder im Austausch mit anderen Crews. Die Entscheidung, wer Captain einer Crew wird, hängt von der Reife der Selbstorganisation innerhalb der Crew-Basis ab. Ein Captain kann übrigens auch als Tie-Breaker fungieren, wenn wichtige Entscheidungen getroffen werden müssen.

Vorsitzende/r (Moderator/in, Leiter/in, Sprecher/in)
"Foren brauchen jemanden, der ihre Sitzungen leitet" – der/die Vorsitzende ist kein:e Vorgesetzte:r, sondern Moderator:in und damit die/der Erste unter Gleichen in einem Forum. Die Rolle ist von hohem Ansehen und sollte nicht von einem Anführer ausgefüllt werden. Dennoch können Chiefs die Position der/des Vorsitzenden (Chair) auf Personen mit einem bestimmten (Senioritäts)Level beschränken.


Grundsätze

UnFIX unterhält einen dynamischen Satz von Grundsätzen (Principles) – was tatsächlich seinen Grundsätzen entspricht. Im Moment definiert unFIX sieben Prinzipien:

  • Es hängt davon ab und alles ist optional (It Depends and Everything is Optional) → stelle alles in einen Kontext. Damit sind alle Praktiken, die unFIX anbietet, optional.
  • Versuche: Einfach, sicher, schnell – kein Scheitern (Try: Cheap, Safe and Fast – Don't Fail) → führe Experimente durch – jedes Experiment war ein Erfolg, wenn es günstig, sicher und schnell war und man daraus lernt.
  • Erfahrung ist wichtiger als Produkt und Service (Experience Beats Product and Service) → ein gutes Produkt ist wichtig, aber auch mit einem guten Produkt kann man Fehler machen. Deshalb ist Erfahrung noch entscheidender, denn das ist es, was den Menschen wirklich wichtig ist.
  • Wo ist der Kunde? – Überall! (Where is the Customer? – Everywhere!) → der Schwerpunkt von unFIX liegt auf der Gestaltung der Organisation, nicht der Prozesse. Kunden sind nicht die einzigen Stakeholder, und alles ist darauf ausgerichtet, allen Arten von Stakeholdern zu dienen.
  • Balance zwischen hoher Kohäsion und geringer Kopplung (Balance High Cohesion with Low Coupling) → ein Paradigma aus der Softwareentwicklung, das auch für die Gestaltung von Organisationen gelten sollte, da komplexe Systeme in der Regel nicht von einzelnen Personen als Ganzes verstanden werden können.
  • Einfachheit erhöhen, Vielfalt annehmen (Increase Simplicity, Embrace Variety) → Einfachheit ist nicht das Ziel, sondern das Ziel ist es, in einem sich ständig verändernden Umfeld zu überleben. Also versuche, die Dinge einfach zu machen, aber nicht zu vereinfachen.
  • Manage das System, Führe die Menschen (Manage the System, Lead the People) → Management ist nicht dasselbe wie Führung – ein System sollte verwaltet werden, aber Menschen sollten geführt werden, und ein gutes System fördert die Führung.

Fazit

Es gibt noch viel mehr zu entdecken und darüber zu schreiben (habe ich schon von Modellen erzählt? :) ). Aber das Mitgeteilte vermittelt bereits eine grobe Vorstellung davon, was unFIX ist, was es bietet und wofür es verwendet werden kann.

UnFIX steckt noch in den Kinderschuhen; aber die Prinzipien, die es verwendet, und die Muster, die es definiert hat, machen für mich viel Sinn. Die Tatsache, dass es während der Corona-Pandemie veröffentlicht wurde – als sich die Arbeitswelt schneller als je zuvor verändert hat – kann nur von Vorteil sein: Sehr aktuelle Herausforderungen für Organisationen werden bereits durch unFIX-Konzepte angegangen.

Ich muss zugeben, dass ich (noch?) kein unFIX-Experte bin. Aber ich werde definitiv ein Auge darauf haben, wohin sich unFIX entwickelt – und es würde mich nicht wundern, wenn wir alle in naher Zukunft noch öfter davon hören.

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